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Neuroscience, DeepSeek & die Zukunft Europas

Interview mit dem Neurowissenschaftler und KI-Visionär Benjamin Bargetzi

Am 21. März spricht der Neurowissenschaftler und KI-Visionär Benjamin Bargetzi auf dem Unternehmertag über Künstliche Intelligenz. Hier verrät er schon einmal seine Visionen für die Zukunft mit KI für die Gesellschaft, die Wirtschaft und jeden einzelnen – und was Europa und Unternehmen tun müssen, um in Sachen KI nicht den Anschluss zu verlieren.


U-Tag: Welche Erwartungen haben Sie an die deutsche und europäische KI-Start-Up-Szene, welche Zukunft hat – bei aller Spitzenforschung – die KI in Europa?

Benjamin Bargetzi: Europa fehlt ein eigenes Silicon Valley. Während es in Bangalore in Indien, Shenzen in China und natürlich in Kalifornien Innovations-Hotspots gibt, fehlt in Europa Vergleichbares. Berlin oder London haben Ansätze, aber sie bieten nicht das gleiche energiegeladene Umfeld, wo kreative Leute hingehen können, die so etwas suchen.
Ein großes Problem ist die Risikoscheu in Europa. Während Investitionen in den USA, China oder auch Indien mit staatlicher Unterstützung leichter fließen, müssen sich Gründer hierzulande regelrecht durchkämpfen, um Investments und Unterstützung zu bekommen Europa hat zweifellos exzellente Forschung, aber es fehlt an einer Kultur, die Unternehmertum und Innovation wirklich fördert.
Wenn sich Europa endlich mal darauf einigen würde, Innovationen ernst nehmen, sehe ich eine gute Zukunft für uns, es müsste nur langsam mal geschehen. Und die Chancen stehen gut, das zeigt das chinesische DeepSeek-R1-Modell, das genauso gut funktioniert wie ChatGPT, aber dessen Entwicklung nur sechs Millionen Dollar gekostet hat — und auch keine fancy Nvidia-Chips benötigt. Das heißt, der Vorsprung des Silicon Valley ist zwar groß, aber nicht uneinholbar, das sollte eine Motivation für Europa sein.

U-Tag: Kann KI Visionen für Unternehmensstrategien entwickeln?

BB: Absolut. Wenn ich ein neues Start-Up gründe, kann ich KI als Brainstorming-Partner nutzen, um potenzielle Schwachstellen zu identifizieren oder neue Ideen zu generieren. So kann KI als eine Art Mentor fungieren, der rund um die Uhr verfügbar ist.
Allerdings sollte man bedenken: Was einmal hochgeladen ist, liegt mit allen sensiblen Informationen auf den Servern von Open AI und Microsoft in den USA. Entsprechend sollte man überlegen, ein personalisiertes Custom-GPT zu nutzen, auf dem die Daten lokal und sicher gespeichert werden.

U-Tag: Wird KI die Management-Ebene disruptiv verändern? Welche Manager, welche Vorstände bleiben, welche müssen gehen?

BB: Die wahren Umbrüche im Management begannen nicht erst mit KI, sondern schon 2020: Digitalisierung durch Corona, globale Konflikte, Lieferkettenprobleme und Energiekrisen haben Unternehmen zu einem radikalen Umdenken gezwungen. KI wird diesen Wandel nur weiter beschleunigen.
Aber ich glaube, dass nicht unbedingt die KI das Management ersetzen wird, sondern der Zeitgeist, der seit 2020 herrscht, der zum Beispiel nach neuen Arbeitsmodellen wie Remote-Work fragt und Unternehmen effizienter und schlanker werden lassen soll. Schon heute entlassen Tech-Konzerne wie Google oder Meta verstärkt das mittlere Management, weil KI viele administrative Prozesse übernimmt.
Zukünftige Führungskräfte brauchen Innovationsgeist, Vertrauen in die Zukunft und die Fähigkeit, Veränderungen mutig anzugehen. Zuversicht in die Zukunft zu vermitteln, wird für Manager unglaublich wichtig sein. Wer nur verwaltet, wird ersetzt werden.

U-Tag: Ist KI auch als valider Anlagemanager denkbar?  Wird KI an den Finanzmärkten erfolgreicher sein als menschliche Investoren?

BB: Ich sehe keinen Grund, warum Maschinen nicht bessere Investmententscheidungen treffen sollten als Menschen. KI kann Muster erkennen und Märkte analysieren – schneller und präziser als jeder Mensch.
Allerdings wird die Akzeptanz Zeit brauchen. Menschen vertrauen lieber anderen Menschen, vor allem wenn es um Geld oder lebenswichtige Entscheidungen geht. Doch sobald KI nachweislich bessere Renditen erzielt, wird sie sich durchsetzen.
Spannend ist die langfristige Perspektive: Anfangs werden KI-Investoren einen Vorteil haben. Es wird eine Übergangszeit geben, in der KI-Systeme viel besser performen als Menschen, aber wenn jeder KI benutzt, stabilisiert sich das, der menschliche Faktor kommt wieder ins Zentrum und wir kehren auf ein neues Gleichgewicht zurück.

U-Tag: Viele fürchten eine allmächtige, generative Intelligenz. Ist diese Sorge berechtigt?

BB: Es gibt zwei Extrempositionen: Auf der einen Seite wird KI als harmloses Tool gesehen, das lediglich die Produktivität steigert. Auf der anderen Seite steht die Angst vor einer Bedrohung à la Terminator, die Arbeitsplätze vernichtet und die Gesellschaft destabilisiert. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte.
Mich interessieren weniger Konsumenten-Anwendungen wie ChatGPT oder Midjourney als vielmehr der Einsatz von Machine-Learning-Algorithmen in die Forschung zu bringen. Hier liegen unglaublich große Chancen, etwa in der Krebsforschung, wo wir bislang noch immer nicht vollständig verstehen, was da eigentlich vor sich geht. Eine KI, die riesige Datenmengen analysieren kann, könnte neue Zusammenhänge aufdecken und entscheidende Fortschritte ermöglichen. Ein Beispiel ist AlphaFold 2 von Google DeepMind, das die Faltung von Proteinen mit hoher Präzision vorhersagen kann – ein Meilenstein für die Medizin. Irgendwann eine Maschine zu entwickeln, die Medikamente gegen Alzheimer oder Krebs herstellt, sind die großen Chancen von KI.
Natürlich birgt KI auch Gefahren. Ich bin etwa strikt gegen den Einsatz von KI in autonomen Waffensystemen – hier sehe ich keinen Mehrwert, sondern nur Risiken. Grundsätzlich aber gilt: KI ist wie Geld oder Waffen – ob sie zum Guten oder Schlechten genutzt wird, hängt vom Menschen ab, der sie benutzt.

U-Tag: Das führt zu der Frage: Kann Künstliche Intelligenz das fundamentale Rätsel des freien Willens lösen?

BB: Ich habe mich ja lange mit Neuroforschung und Psychologie beschäftigt, bevor ich mich der Welt der Maschinen und Roboter zugewendet habe. Daher bin ich in dieser Frage auch sehr gespalten. Wir versuchen jetzt, durch die ganzen KI-Themen Antworten auf die großen philosophischen Fragen zu finden – doch das Problem ist, dass die Neuroforschung bislang keine eindeutige Antwort darauf hat, ob der Mensch tatsächlich über einen freien Willen verfügt oder wie genau Bewusstsein entsteht. Es gibt zahlreiche Theorien, aber unser Verständnis davon, was das Gehirn eigentlich tut und warum es bewusst denken kann, bleibt unvollständig.
Was wir aus der Neuroforschung wissen, ist, dass ein Großteil unseres Denkens automatisiert abläuft. Unser Gehirn arbeitet mit Mustern, erstellt Modelle der Welt und passt sie an neue Erkenntnisse an. Ob das jedoch als freier Wille zu verstehen ist oder ob wir nur glauben wollen, ihn zu haben, ist eine andere Frage.
Spannend ist eine Theorie aus der Neuroforschung, die Bewusstsein als Ergebnis extremer Informationsverdichtung sieht. Das Gehirn funktioniert mechanisch, fast wie ein Roboter, doch in einer bestimmten Dichte an Informationen könnte so etwas wie Bewusstsein entstehen. Überträgt man diese Theorie auf KI, könnte eine Maschine, die ähnlich viele Informationen in begrenztem Raum verarbeitet, ebenfalls Bewusstsein entwickeln.
Gleichzeitig stellt sich die Frage: Wenn das Gehirn rein mechanistisch arbeitet und man nicht an eine Seele glaubt oder an etwas Überirdisches, bedeutet das dann, dass der freie Wille in absoluter Form gar nicht existiert? Eventuell gibt es eine eingeschränkte Form – die Fähigkeit, innezuhalten und zu entscheiden, ob man etwas machen will oder nicht –, aber im Großen und Ganzen ist man ferngesteuert und agiert nach vorgegebenen Mustern.
Deshalb glaube ich nicht, dass uns die KI endgültige Antwort auf die Frage nach dem freien Willen liefern. Was sie aber tun wird, ist die Debatte über Bewusstsein auf eine neue Ebene zu heben. Wenn in der Zukunft zum Beispiel Roboter mit Bewusstsein für uns arbeiten, stellen sich plötzlich ethische Fragen, die an die Problematik der Sklaverei erinnern.

U-Tag: Welche Rolle spielen KI-Assistenten im Jahr 2025?

BB: Ich prophezeie, dass das meistgenutzte Buzzwort 2025 „AI-Agents“ sein wird. Man hat dann nur noch ein KI-System, das man mit einem Element bedienen kann wie zum Beispiel ChatGPT, und das mehrere Systeme zusammenkoppelt und Aktionen tätigt und Aufgaben autonom erledigen kann.
Ich sage dann zum Beispiel meinem Handy: „Ich brauche einen Friseurtermin“, und das System übernimmt die komplette Organisation. Oder: „Ich möchte drei Wochen durch Vietnam reisen“, und schon sind Flüge, Hotels und Reiseplanung erledigt. Eine manuelle Buchung wird kaum noch nötig sein.
Diese Entwicklungen werden Bürokratie und Administration drastisch reduzieren und Unternehmen produktiver machen. Wer sich dieser Entwicklung verschließt, wird langfristig nicht wettbewerbsfähig bleiben.

U-Tag: Könnten Sie für uns eine reale Perspektive entwickeln, wie der Unternehmertag in fünf Jahren aussieht?

BB: Technologisch wäre es möglich, den Unternehmertag komplett im Metaverse zu veranstalten. Teilnehmer könnten mit VR-Brillen von zu Hause aus teilnehmen, könnten sich interaktiv durch das Setting bewegen, den Panels folgen und müsste nicht mehr reisen.
Ich glaube aber nicht, dass es so kommen wird. Ich glaube, dass wir uns in fünf Jahren immer noch persönlich treffen, weil der Mensch Menschen mag. Menschen sind soziale Wesen, und persönliche Begegnungen sind durch nichts zu ersetzen. Das ist genau der Punkt, wo mein Ursprung als Neuroforscher auf meine heutige Karriere in der KI treffen: Sachen werden möglich mit Technologie, das heißt aber nicht, dass Menschen das auch alles machen werden. Vielleicht wird es hybride Lösungen geben – mit einer realen Konferenz und einer parallelen virtuellen Version für diejenigen, die nicht vor Ort sein können.
KI könnte den Buchungsprozess vereinfachen und den gesamten Aufenthalt selbstständig organisieren. Man könnte KI-gesteuerte Roboter als Show-Act auftreten oder sie Getränke servieren lassen. Doch am Ende bleibt der persönliche, direkte Austausch zwischen Menschen ein zentraler Punkt für die Durchführung solcher Veranstaltungen – unabhängig von den technologischen Möglichkeiten.